Das ist der zweite Teil unseres Berichts über die Einrad-Weltmeisterschaft 2022. Hier lest ihr Teil 1:
https://www.tsvgars.de/unicon-20-in-grenoble-teil-1/
An Wettkampftag sechs starteten die von Anfang bis Ende sehr gut organisierten Bahnwettkämpfe im Stade Bachelard. Zeitplan, Technik, Auswertung – alles vom Feinsten. Gleich im ersten Rennen holte Annalena Platz 3 über 100 Meter in der AK U19. Es folgten Platz 1 von Henriette über 50 Meter Einbein in der AK U19, Annalena holte hier Silber und ebenso Silber von Annalena 30 Meter Wheelwalk. Michael wurde Dritter in AK 50+ im über 50 Meter Einbein. Annalena und Henriette erreichten in allen an diesem Tag absolvierten und ins Ziel gebrachten Disziplinen die Finalläufe.
Parallel starteten die Freestyle-Wettbewerbe in der Halle Clemenceau, und bei den Junior-Expert-Einzelküren am Abend gab es den ersten von vier Live-Streams in dieser Disziplin. Mit Begeisterung werden wir immer an diese gelungenen Streams von den Freestyle-Expert-Wettbewerben denken, an die mit verschiedenen Kameraperspektiven aufgenommen Küren, an die Livekommentare, an die Interviews, und daran, dass all das Konstantin zu verdanken ist, denn er hat es organisiert, technisch umgesetzt und mit drei Volunteers durchgeführt. Das waren drei Tage harter Arbeit mit eigener Technik vor Ort, und das war auch viel zähes Ringen mit kommunikativen Herausforderungen im Vorfeld. Aber das Ergebnis war wunderbar und brachte dem Einradsport ein gutes Maß an Professionalität.
An Tag sieben ging es wieder zum Stade Bachelard, dem Leichtathletikstadion, um das Coasting zu absolvieren. Diese Disziplin stand in Grenoble unter einem besonderen Vorzeichen, setzt in der Stadt doch sehr oft gegen 17 Uhr der Mistral („der Meisterliche“) ein, ein trockener, starker Fallwind, der vom Land zum Meer hin weht und Windgeschwindigkeiten von 50–75 km/h, in Spitzen über 135 km/h erreichen kann. Was den Zuschauern bei den backofenwarmen Temperaturen einen Hauch an Entspannung verschaffte, brachte die Sportler in arge Bedrängnis und fegte reihenweise selbst sehr gute Coaster aus dem Sattel, denn der Zeitplan sah für die Balance-Disziplin an zwei Tagen den Slot von 17 Uhr bis 19 Uhr vor. Mit Spitzenleistungen brauchte man nicht zu rechnen, eher schon mit der Gefahr, nicht einmal die 5-Meter-Linie zu überqueren, ab welcher erst eine Messung einsetzt. Weiten über 50 Meter waren deshalb bereits als außergewöhnlich zu bezeichnen. So blieben alle Garser weit unter ihren Bestleistungen, alle anderen Teilnehmer aber ebenso.
Mit 85,40 m, die Henriette erreichte, würde man unter normalen Verhältnissen nicht mit einer Expertmedaille rechnen dürfen. Diesmal aber war das der Vizeweltmeistertitel, denn die Weltmeisterin und Weltrekordhalterin (173,98 m) Lisa Hanny kam auch nur auf 86,20 m. Ganze 80 cm fehlten so für den Weltmeistertitel. Auch Verena (40 m), Annalena und Timo wurden unter Wert geschlagen. Sehr spät am Abend gab es zur Siegerehrung im Coasting auch noch jene im IUF-Slalom, bei welcher Henriette und Annalena auf den Podestplätzen 1 und 2 standen und den Einzug ins Finale geschafft hatten.
Am achten Wettkampftag fuhren Henriette und Verena ihre Paarkür. Sie zeigten einen schönen, harmonischen, synchronen Durchlauf, fürs Treppchen aber reichte das seit drei Jahren unveränderte Programm nicht mehr, denn ein gemeinsames Training ist seit längerem kaum mehr möglich. Es wurde Platz 4. Die Bildungswege der beiden führen auseinander, jeder hat gut zu tun, gemeinsame Zeiten in der Halle sind mehr als rar.
Trotzdem war es schön, dass sie sich qualifizieren konnten und zu diesem Start entschieden haben, und der Spaß an der Sache ist ihnen nach wie vor nicht abhandengekommen.
Direkt von der Kürfläche runter, noch im Kostüm, sauste Henriette einmal quer durch die Stadt zum Leichtathletikstadion und fuhr mit der Kürschminke im Gesicht ihre Staffel – auch das ist UNICON. Annalena und Michael waren ebenfalls mit Staffeln unterwegs. Medaillenambitionen hatte man da von vornherein nicht, es standen der Spaß und der Gemeinsinn im Vordergrund. Am Vormittag hatten, parallel zu den Paarküren, bereits die 400 Meter stattgefunden. Annalena holte dabei Platz 2 in der AK U19 und erneut eine Finalteilnahme.
Was für ein neunter Wettkampftag! Fast 40 Grad in Grenoble, aber heiß wurde uns nicht nur der Außentemperaturen wegen. Am Morgen fand der Cyclocross statt. Dabei wird nach einem Le Mans Start* auf einem Rundkurs mit natürlichen und künstlich errichteten Hindernissen 30 min (Beginner) bzw. 45 min (Elite) gefahren, gesprungen, gerannt, geklettert, gekämpft – ein großer Spaß für alle und ein Event mit viel Sinn für die Gemeinschaft. Hier teilt sich das Starterfeld jedes Mal in jene, die den Wettbewerb ernst nehmen und so viele Runden wie möglich zu absolvieren versuchen und in jene, für die es den Gaudiwettbewerb einer jeden UNICON darstellt. So vereinbart man interne Challenges, es wird sich beim Überfahren der Zeitmessmatte im Ziel umarmt, es werden Gegenstände einer Staffel ähnlich von A nach B transportiert oder man fährt durch Wasserfontänen. Nach der abgelaufenen Zeit blickt man in ebenso erschöpfte wie durchweg vor Glück strahlende Gesichter. Annalena startete bei den Beginnern und holte Platz 1 in der AK U19. Henriette, Timo, Konstantin und Michael kämpften auf dem Elitekurs und betrieben das Event nicht durchgehend mit Ernst und Siegambitionen.
(*die Räder liegen aufgereiht ein ganzes Stück vor den Fahrern, diese rennen nach dem Startsignal in wilder Hatz los und schnappen sich ihren fahrbaren Untersatz)
Und am Abend dann eines der Highlights einer jeden Weltmeisterschaft: die Konkurrenz der Großgruppenküren. Da knistert wahrlich die Luft in der Halle! Die Aufregung ist groß, auf allen Ebenen: bei den Trainern, den Familien, den Betreuern und erster Linie natürlich bei den Sportlern selbst. So eine komplexe, technisch schwierige Kür mit jeder Menge an Präsentation auf den Punkt abzuliefern, ohne Crashs, dafür aber mit allen ausgedachten und mühsam einstudierten Bildern – das ist ein vielschichtiges Unternehmen und birgt immer jede Menge an Potential, in die eine wie in die andere Richtung.
Das Freestyleteam Bayern hatte Startplatz eins gezogen, nicht die idealste Position, aber zumindest war so die Einfahrzeit noch nicht lange her, als man abliefern wollte und musste, und das war nicht unbedingt von Nachteil. Annalena, Henriette und Verena fahren in diesem Team, sind tragende Säulen des Ganzen, und Henriette zeichnete als Co-Trainerin diesmal sogar federführend mit verantwortlich. So war neben der eigenen Aufregung noch die der anderen zu händeln, sich um Training, Kostümierung, Motivation und all die anderen Dinge zu kümmern, die im Rahmen eines solchen Projektes nötig sind.
Und: es gelang dem FTB ein wunderbarer Durchlauf und so holte es den Vizeweltmeistertitel! Basis dieses Erfolgs war der Sieg in der Technikwertung.
Der X-Style und die Finalrennen auf der Bahn standen auf dem Plan an Tag zehn. Henriette erreichte im X-Style das Semifinale. Dass dort Schluss war, kam auch gar nicht so ungelegen, denn auf der Bahn ging es am Nachmittag eben mit den Finalläufen in den Rennen weiter, die Henriette und Annalena erreicht hatten, und deshalb musste flott ins Stade Bachelard umgezogen werden.
Henriette ging über 50 Meter Einbein an den Start, aber Kopf und Körper hatten noch die Freestyle-Positionen des wenige Stunden zuvor absolvierten X-Styles abgespeichert, so dass sie nicht jenen Druck aufs Rad aufbauen konnte, der zu einer guten Zeit, in einem so starken Feld oder eventuell sogar zu einer neuen PB geführt hätte. Durch die aufziehenden Gewitter – einige Finalläufe hatten schon mit Blitz und Donner sattfinden müssen – cancelte man das IUF-Finale. Das war zwar schade, denn gerade dieser Endkampf hat eine sehr besondere Atmosphäre mit den einzeln startenden Fahrern und den motivierenden, applaudierenden Zuschauern am Rand, aber unter den gegebenen Wetterbedingungen war das die einzig richtige Entscheidung.
Mit Tag 11 brach für die Garser der letzte Wettkampftag an. Es wurde erstmalig bei einer UNICON ein Mountain Climbing Race veranstaltet. Dabei waren auf 15 Straßenkilometern knapp 1000 Höhenmeter zu überwinden. Es gab zwei Einrad-Kategorien, die Standard-Klasse bis 29 Zoll und die Unlimited-Klasse ohne technische Beschränkungen. Konstantin startete in der Klasse bis 29 Zoll. Der Start erfolgte auf 262 Metern in Seyssinet-Pariset östlich von Grenoble. Durch die Gewitter des Vorabends erlebten Sportler und Betreuer erstmalig angenehme klimatische Bedingungen. Bei einer ziemlich konstanten Steigung von 6 Prozent kämpften sich die knapp über 100 Starter in der Standardklasse und ca. 50 Unlimited-Fahrer die Strecke nach Saint-Nizier-du-Moucherotte auf 1172 m Höhe hinauf.
Um die Fahrer nicht mit Autoverkehr zu stören, hatten wir als Begleitpersonal eine andere Route zum Eintreffen im Zielbereich gewählt und damit gerechnet, dass es ausreichen würde, ungefähr 45 Minuten nach der geplanten Startzeit um 8 Uhr an der Ziellinie zu stehen. Fast wäre das allerdings gründlich schiefgegangen, denn zum einen war man unten im Startbereich relativ pünktlich losgekommen, aber noch viel mehr war das „Problem“, dass Konstantin in unglaublicher Geschwindigkeit den Berg hochstrampelte und so früh durch das Ziel fuhr, dass wir fast zu spät gekommen wären. Bereits als Vierter aller Fahrer (Standard und Unlimited gemischt) sprintete er nach 56 Minuten ins Ziel. In der Expertwertung aller Standardfahrer bedeutete das Platz 3 – seine erste Expertmedaille bei einer Weltmeisterschaft. Zusätzlich erhielt er die Silbermedaille in der AK 19 bis 29. Das viele zielorientierte Training hat sich mehr als ausgezahlt. Timo kämpfte sich ebenfalls den Berg hinauf, erwischte aber keinen ganz so guten Tag und wurde 17. Wenig Schlaf, unregelmäßiges Essen und die Gesamtsumme an Anstrengungen bei einer UNICON fordern irgendwann ihren Tribut.
Am Abend gab es die große Abschlussparty im UNICON Village. Bis weit nach Mitternacht wurde ausgiebig gefeiert, getanzt und gespielt.
„Und, wie fandet ihr die UNICON 20?“ Das sind wir in den letzten Tagen häufig gefragt worden. In einem Satz kann man das nicht beantworten und deshalb sei an dieser Stelle unser Einrad-Blog der empfohlen, in welchem man diese Frage ausführlich beantwortet findet: https://konstantinhoehne.de/category/unicon-20/
Nur so viel: Sie war sehr erfolgreich für das Garser Einradteam, und es bleiben uns viele schöne, emotional wertvolle und beglückende Momente an diese UNICON 20 in Erinnerung. Und wir freuen uns schon auf Ausgabe Nummer 21, die im Sommer 2024 in Bemidji im Bundesstaat Minnesota in den USA stattfinden wird.
Wir starten heute mit der Vorfreude darauf!